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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 04.02.2010


Portrait der Schriftstellerin Benoîte Groult zum 90 jährigen Geburtstag
Claudia Amsler

Benoîte Groult, französische Autorin des Bestsellers "Salz auf unserer Haut", wurde am 31. Januar 2010 90 Jahre alt. Doch an den Ruhestand denkt die passionierte Schriftstellerin...




... noch lange nicht, im Herbst 2009 erst erschien ihre langerwartete Autobiographie "mon évasion" auf Deutsch.

Beinahe ein ganzes Jahrhundert Geschichte...

1920 wurde die emanzipierte "écrivaine" geboren, mündig wurde sie jedoch nicht wie gewohnt mit 18 Jahren, sondern erst sieben Jahre später, denn "die anderen" - die Frauen - erhielten erst 1945 in Frankreich das volle Stimmrecht. Ein Leben ohne politische Partizipation? Dies kann frau sich kaum vorstellen - Benoîte Groult kann es...

Für Benoîte Groult, die seit den 1970ern als eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen in Frankreich gilt, war der Begriff des "Feminismus" zu ihrer Jugendzeit noch gar nicht existent. Sie ahnte nicht, dass es eine Virginia Woolf gab, die gute dreißig Jahre später "Le deuxième sexe" veröffentlichen würde. Es war Nachkriegszeit: "Die jungen Mädchen waren nicht dazu da, in die Geschichte einzugehen, sondern die Soldaten zu pflegen.", erläutert die Schriftstellerin in ihrer Autobiografie "Die Befreiung". Es entsprach der Norm, dass Frauen in einem lethargischen Zustand verharrten. Auch Studieren sollte das weibliche Geschlecht nicht zu lange, das "mache das Mädchen hässlich (nur die Mädchen)" und frau wurde dadurch als "Blaustrumpf" betitelt. Trotzdem wollte Benoîte, wie sie in ihrer Autobiografie erläutert, "möglichst lange Studentin bleiben"...

"Wir waren auch behindert, da uns der Phallus fehlte"...

Es war Fakt, dass Frau kein Bankkonto eröffnen konnte ohne die Zustimmung des Ehegatten, dass eine Abtreibung gesellschaftliche Verurteilung oder sogar den Tod zur Folge hatte. "Verzicht galt als eine Tugend bei den Mädchen, Verzicht auf Glück eingeschlossen."

Benoîte Groult wuchs während dieser durch Männer dominierten Zeit auf und doch war die fleißige Tagebuch-Schreiberin anders, nicht aufgrund der vielen Bücher, die sie las, auch nicht ihre Pickel und Herpes waren die Auslöser und auch nicht, dass sie als Tochter einer in Frankreich berühmten Modedesignerin und eines Innenarchitekten in der Pariser Oberschicht aufwuchs - es war die Aufklärung. Die Aufklärung, welche sich in ihrem Kopf langsam vollzog,...

"Du begannst herauszufinden, meine liebe Rosie (Benoîte), dass die Identität für eine Frau ein ziemlich fluktuierender Begriff ist"...

Nach einem abgeschlossenen Literaturstudium arbeitete Benoîte Groult als Fernsehjournalistin, doch nicht ihr Beruf, sondern die Männer nahmen nun eine wichtige Rolle in ihrem Leben - für ihre Selbstfindung - ein. Sie verliebte sich, heiratete und trennte sich wieder, zu einer Zeit, in der Scheidungen alles andere als gesellschaftsfähig waren. "1920 als Groult geboren, hieß ich mit Fünfundzwanzig Heuyer mit Sechsundzwanzig de Caunes und mit Dreißig Guimard." Drei Töchter kamen aus diesen Ehen hervor. Und viel Leid, denn "Kondome waren etwas für Huren" und so war die Abtreibung die einzige "Verhütungsmethode".

"Die Sexualität, das ist die Irre im Haus"...

Die Beziehungen zu Männern waren unter anderem die Bausteine für Groults Veröffentlichungen, die offen und schamlos über die weibliche Sexualität erzählen. Die Autorin nahm die normative Abneigung, die Diskriminierung der Männer gegenüber Frauen wahr und begann das SchriftstellerInnentum zu revolutionieren. Sie wollte es nicht mehr hinnehmen, dass es eine sogenannte "Eierstock-Literatur" gab. Sie machte das, was für Autoren schon längst gang und gäbe war, sie bejahte ihre Liaisons und ihre Libido in ihren Werken und setzte so ein Zeichen der Gleichberechtigung.

Benoîte Groult hat mit dem Roman "Salz auf unserer Haut" mehrere Tabus gebrochen: Zum einen produzierte sie ein atypisches Buch, das den Mann (nicht die Frau!) am Ende sterben lässt und zum anderen berichtete eine reife Frau über ihre eigene Sexualität und das mit Charme, Witz und einer Ehrlichkeit, die frau und insbesondere man nicht gewohnt ist.

Diese Ehrlichkeit zeichnet Benoîte Groult und ihre Werke aus, offen gesteht sie, dass sie sich liften ließ, berichtet schonungslos über ihr Alter, ihre Klitoris und lässt sich nicht in Kategorien von Feminismus hinein schubladisieren. Sie selbst hat den Werdegang zur Mündigkeit vollzogen und so steht ihr Lebens- und Liebensweg für eine universelle Emanzipation der Frau - für Frauen, die sich kein Blatt vor den Mund kleben lassen.

Die Autobiographie "Meine Befreiung" erschien im August 2009 beim Bloomsbury Verlag Berlin wie auch Benoîte Groults Roman "Salz des Lebens" im Februar 2007.

Bibliographie von Benoîte Groult:
Als Alleinautorin

La part des choses, 1972
deutsche Ausgabe: Die Dinge, wie sie sind. Roman. Zsolnay, Wien/Hamburg 1979

Ainsi soit-elle, 1975
deutsche Ausgabe: Ödipus’ Schwester. Zorniges zur Macht der Männer über Frauen. Droemer Knaur, München 1985

Le féminisme au masculin, 1977
deutsche Ausgabe: Gleiche unter Gleichen. Männer zur Frauenfrage. Droemer Knaur, München 1995

Les trois quarts du temps, 1983
deutsche Ausgabe: Leben will ich. Roman. Droemer Knaur, München 1983

Les vaisseaux du cœur, 1988
deutsche Ausgabe: Salz auf unserer Haut. Roman. Droemer Knaur, München 1988

Pauline Roland ou comment la liberté vint aux femmes, 1991
deutsche Ausgabe: Wie die Freiheit zu den Frauen kam. Das Leben der Pauline Roland. Droemer Knaur, München 1992

Cette mâle assurance, 1993
deutsche Ausgabe: Die Hälfte der Erde. Aufsätze zur Frauenfrage. Droemer Knaur, München 1994

Histoire d’une évasion (mit Josyane Savigneau), 1997
deutsche Ausgabe: Leben heißt frei sein. Droemer Knaur, München 1998

Mit Flora Groult (Benoîtes Schwester)

Journal à quatre mains, 1962
deutsche Ausgabe: Tagebuch vierhändig. Eine Chronique intime. List, München 1965

Le Féminin pluriel, 1965
deutsche Ausgabe: Juliette und Marianne. Zwei Tagebücher einer Liebe. Desch, München 1966

Il était deux fois, 1968
deutsche Ausgabe: Es war zweimal. Droemer Knaur, München 1994

Liebe und so weiter … Droemer Knaur, München 1996

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Beitrag vom 04.02.2010

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